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Die Sache mit dem Pflegegrad

Wer meine Blogbeiträge ab und zu liest und Herrn Zehe (meinem Herzensmann) und mir beim Sabbeln zuhört oder meine Tweets gesehen hat, weiß bereits, dass mein Gesamtzustand sich in den letzten Monaten kontinuierlich verschlechtert hat.

Es fällt mir nicht leicht, darüber zu schreiben, ohne, dass mir die Tränen kommen. Es tut weh und ist ganz und gar nicht einfach, diese Verschlechterung zu akzeptieren, anzunehmen, dass es wohl nicht mehr bedeutend besser wird, sofern nicht irgendwo ein Wundermittel gegen Kataplexien erfunden wird.

Aus diesem Grund habe ich Ende Mai quasi in einer Nacht und Nebel Aktion (in einer meiner berühmten nächtlichen Wachphasen, in denen ich Dinge tue, von denen ich morgens kaum noch etwas weiß^^) bei meiner Krankenkasse die Feststellung eines Pflegegrades für Pflegegeld und Pflegesachleistungen beantragt.

Ich wusste gar nicht, dass das alles 2017 quasi umgemodelt wurde und bin irgendwie immer davon ausgegangen, nur Alte oder Schwerstkranke bekämen sowas. Das typische Senioren-Rollator-Vorurteil halt, ist ja keiner vor sicher, vor solcherart Urteil, nech.

Jedenfalls las ich in diversen Facebook-Gruppen (ja, inzwischen bin ich auch wieder auf Facebook^^) über Narkolepsie, Fibromyalgie, EDS und ähnlichem Kram öfter von Pflegegrad und dann hab ich mal so einen Fragebogen ausgefüllt und festgestellt, dass ich wohl Anrecht auf sowas hätte. Und hatte dann halt den Antrag gestellt, ohne groß drüber nachzudenken.

Man wächst ja auch irgendwie in seine Krankheit hinein, man gewöhnt sich, man lernt, damit zu leben, merkt vielleicht irgendwie, man kann dies und jenes immer schlechter, aber hey, das und das geht noch ganz gut und eh man sich’s versieht, braucht man doch dauerhaft Hilfe und mag das gar nicht so wahrhaben. Ging doch eigentlich noch, gestern oder wann das war. Dass dieses „Gestern“ dann aber doch schon einige Monate her ist oder nur ein kleiner Lichtblick zwischen einer Vielzahl an doofen Tagen, das fällt dann gern unter den Tisch.

Ich klammere mich an die guten Tage, die immer seltener werden. Ich kann immer weniger sicher laufen, ich stütze mich beim Laufen durch den Flur an der Wand ab, ich rechne ständig mit einer Kataplexie und bin dann doch wieder überrascht, dass es mich gerade dann erwischt, wenn ich nicht dran denke. Wenn direkt hinter mir eine Katze anfängt, ihre Haare auf den Teppich zu reihern, zum Beispiel. Oder die Fenster offen sind und der Nachbarshund laut bellt. Oder, oder, oder. Und es gibt immer weniger Ausflüge und Spaziergänge, und es gibt gar keine „Alleingänge“ mehr nach draußen, und es gibt immer den Gedanken im Hinterkopf, was, wenn ich jetzt schon wieder hinfalle?

Ich führe ein Bullet Journal, ja, dieser neumodische Kram, dieses Tagebuch-Terminplaner-Aufgaben-Listen-Tracker-Dings, das zumeist als hübsches Kunstwerk verziert die Pinnwände auf Pinterest bevölkert. Mein BuJo, wie es voll cool genannt wird, ist eher minimalistisch und so gar nicht künstlerisch-wertvoll, dafür höchst informativ (also, wenn ich das alles auch konsequent eintrage, was an schlechten Tagen ziemlich schwer ist).

In meinem BuJo gibt es einen Tracker, bzw. eine Art Notiz-Bereich für tägliche Niederschriften von Kataplexien, ob mein Tag mal okay, oder gut, oder kacke war, und ähnliches. Und ich hab das speziell für diesen MDK-Begutachtungstermin zusammengefasst, eine Übersicht über den Juni. Und nun denn, es sieht ganz schön scheiße aus. Täglich mindestens 5 Kataplexien, manchmal sogar bis zu 20, nicht alle sind üble Stürze, aber es verging kein Tag ohne wenigstens einen Sturz. Es verging kein Tag ohne „Immer an der Wand lang“, sprich Gangunsicherheit und Hilfe vom Herzensmann. Kein. Verdammter. Tag. Ohne. Kataplexie. Nicht einer.

Sich das mal vor Augen zu führen, ist nicht gerade eines der einfachsten Dinge vonne Welt. Zu realisieren, dass man mindestens 10 Tage im Monat wegen „Kralle ums Herz“ depressiv in der Ecke hängt, auch nicht. Sich nicht einmal allein zum Briefkasten getraut hat in dem Monat. Zu sehen, dass man immer jemanden zumindest auf Abruf in der Wohnung haben muss, wenn man mal auf Klo gehen oder duschen oder was auch immer will, weil es ständig passieren kann, dass man stürzt. Dass man täglich auf Hilfe angewiesen ist. Dass man ständig müde und / oder schläfrig ist und sich auf kaum etwas konzentrieren kann. Und wie sehr das auch für den Herzensmann belastend sein muss.

Dann kommt so eine Gutachterin, eine sehr nette Dame übrigens, schaut sich um, hört Dir zu, lässt Kommentare fallen wie „sicherlich sehr in der Selbständigkeit eingeschränkt“ und „besondere Situation mit ihren seltenen Erkrankungen“ und sieht das verständnisvoll-bestärkende Nicken, wenn es darum geht, dass ich mich wohl doch langsam an die Idee gewöhnen muss, einen Rollator oder Rollstuhl zu benötigen. Dann willst Du der netten Dame das Badezimmer zeigen und beim Aufstehen vom Sofa fällt unbeabsichtigt Dein Handy zu Boden und zack, fällst Du gelähmt aufs Sofa zurück, knallst mit dem Kopf an die Schulter des Herzensmannes und kannst erst mal gar nichts und er auch nicht, weil er Dich stützen muss.

Und Du fängst deshalb an zu heulen, weil es *schon wieder* passiert ist und *schon wieder* vor anderen und es ist Dir peinlich und unangenehm und das, obwohl Du schon seit mindestens 15 Jahren mit dem Scheiß herumläufst. Dann dauert es 5 Minuten, bis Du Dich wieder bewegen kannst und Dein Herzensmann Dich auf dem Sofa so hinparkt, dass er aufstehen und der Gutachterin das Bad zeigen kann. Und Du hörst, wie sie ihn fragt, wie oft das passiert. Und ob er rund um die Uhr auf Abruf da sein muss. Und all das.

Und Dir wird klar, scheiße, ja, Dir geht’s echt so schlimm. Und die Gutachterin findet die Idee mit dem Rollator und Rollstuhl eine gute, und eine Stütze soll auf die Badewanne und ans Klo und ein Sitz in die Wanne. Und dann realisierst Du so langsam, wie scheiße es tatsächlich ist. Und willst das gar nicht.

Und dann stellt die Gutachterin die Frage nach einer Prognose und Du kannst nur mit den Schultern zucken und sagen, dass Du so ziemlich alle Medikamente gegen Kataplexien durch hast und jetzt wieder bei Xyrem angekommen bist, welches Du wegen übelster Nebenwirkungen absetzen musstest und dann guckst Du nur noch blöd aus der Wäsche und sagst, es sieht halt schlecht aus, wenn nicht noch irgendeiner mit einem Wundermittel um die Ecke kommt und die Kataplexien wegzaubert. Und da gibt auch die aktuelle Forschung gerade nicht wirklich was her.

Ich wusste, dass es NarkoleptikerInnen gibt, die wegen ihrer starken Kataplexien im Rollstuhl sitzen. Ich wusste auch, dass ich extreme Kataplexien habe. Wusste ich alles. Ich bin dankbar für das wundervolle letzte Jahr, das Jahr 2018, in dem so viel ging und so viel besser wurde. Und ich versuche, mit der Aussicht auf dauerhafte Hilfe, Pflege, Rollstuhl und / oder Rollator irgendwie klarzukommen.

Und weil ich trotz dieses großen Scheißehaufens eigentlich viel zu gern lache und den Kopf aufrecht halte, versuche ich das alles jetzt halt positiv zu sehen. Irgendwie.

Und da hatte meine große Liebe, die weltbeste kleine Schwester, die ein Mensch haben kann, eine wundervolle Idee: Mein Rollstuhl oder mein Rollator oder und wird knallbunt und kriegt lustige Pompoms und Bommel und eine praktische Tasche für Zeuch und keine Hupe, aber ein Pimmeleinhorn (kein Vertipper, ich meine tatsächlich ein Pimmeleinhorn, weil ich es kann) und Regenbogen und meine weltbeste Supernichte wird mit verzieren und überhaupt. Wenn schon so ein Scheißding, dann eins in total super, auf dass es mich wenigstens grinsen macht, wenn ich drin sitzen muss. Zack.

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