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Sehen vs. Nicht-Sehen – Über den Umgang mit Behinderungen

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar – Antoine de Saint-Exupéry (aus: Der kleine Prinz)

Es gibt da etwas, was mich stört. Oder, na, stören ist vielleicht etwas übertrieben, ich bemerke es immer wieder und manchmal lächle ich drüber, ein anderes Mal regt es mich etwas auf, von Zeit zu Zeit nervt es auch. Aber vielleicht sollte ich anders anfangen.

Also: Mein Partner ist blind. Nicht „nicht-sehend“, sondern schlicht „blind“. Er kann noch wahrnehmen, ob es draußen hell oder dunkel ist, aber das war es auch schon. Seine Augen funktionieren halt nicht so, wie andere Augen. Aber er ist ausdrücklich nicht nicht-sehend!

Er sieht ganz wunderbar! Er sieht Dinge, die mir manchmal nicht auffallen, er nimmt sie durch seinen Körper, nein, durch sein Herz wahr. Oder durch etwas, was sich Intuition nennt. Wer weiß das schon. Er sieht viele Dinge, auch Details. Nur eben nicht mit seinen Augen. Sehen ist meiner Meinung nach nicht nur auf das Visuelle beschränkt.

Politisch korrekt ist nicht gleich menschlich korrekt

Dennoch gibt es diesen (Verzeihung) bescheuerten politisch korrekten Ausdruck des Nicht-Sehens. Uns begegnen häufig Menschen, die offenbar Angst haben, das Offensichtliche zu benennen: er ist blind. Stattdessen lavieren sie herum und sagen dann nicht-sehend, oder bauen dieses nicht-sehen anders in ihre Sätze ein. Hier ein paar Beispiele:

Und so weiter und so fort. Interessanterweise fühlen sich auch die meisten Menschen (und meist sind es die, die bisher scheinbar nur wenige Berührungspunkte mit Behinderten gehabt haben) unbedingt bemüßigt hervorzuheben, WIE TOLL denn jemand etwas TROTZ seiner Behinderung kann. 

Das nervt. Das nervt! DAS NERVT!

Zudem wird sich mit diesem nicht-sehen auf ein Defizit konzentriert, er kann etwas nicht. Warum nicht einfach blind sagen und das einfach so stehen lassen? Er ist blind, das ist eine kleine (wenn auch auffällige) Eigenschaft in einem unfassbar großen Portfolio von wundervollen weiteren Eigenschaften, Fähigkeiten und Talenten. Man muss das nicht hervorheben. Schon gar nicht, was man TROTZDEM kann. Was soll das?

Die Suche nach Gründen und Dunkelrestaurants

Ich glaube, es liegt auch daran, dass die meisten Gesunden, also Menschen, die selbst nichts mit Behinderung oder Krankheit zu tun haben, sich dann vorstellen, wie es für sie sei, jetzt plötzlich blind zu sein. Wie anstrengend und beängstigend das dann ist. Und projizieren dies dann auf den – in diesem Fall sogar von Geburt an – blinden Mann. Aber, wie eben dieser so treffend selbst beschrieb: Blind ist nicht gleich blind!

Das KANN nicht funktionieren. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, blind zu sein, wenn er es nicht ist. Da helfen auch die Dunkelrestaurants nicht wirklich und sind meines Erachtens eher kontraproduktiv im Sinne von Behinderung besser verstehen.

Meiner Meinung nach wird da jemand aus seiner gesunden Situation gerissen und muss sich damit zurecht finden, ganz plötzlich eines Sinnes beraubt zu sein. So geht es aber ja den wenigsten Blinden. Die üblicherweise gut sehenden Menschen hocken dann verunsichert und verängstigt vor ihrem Teller, stochern suchend darauf herum, stoßen vielleicht Gläser um und denken sich dann möglicherweise: OMG, was müssen das für arme Menschen sein! Denen geht das JEDEN TAG so? Und zack, ist das (absolut unnötige!) Mitleid für Blinde noch größer.

Nein, es geht den Blinden eben nicht den ganzen Tag so, höchstens ab und zu in unbekannten Situationen. Blinde (und erblindende!) Menschen erhalten über lange Zeit Schulungen, wie sie sicher im Leben zurecht kommen: Orientierungs- und Mobilitätstraining für die Bewegung außerhalb der Wohnung mit Stock und/oder Hund, und Lebenspraktische Fähigkeiten für Essen, Trinken, Nähen lernen (so man denn möchte), und so vieles mehr.

Ich wurde auch schon gefragt, ob ich schon in so einem Dunkelrestaurant war. Und wenn nein, warum denn nicht, es sei doch wichtig, sich in den Partner hineinversetzen zu können. – Blödsinn, dafür muss ich nicht ins Dunkelrestaurant! Ich weigere mich sogar ausdrücklich, in ein solches Restaurant zu gehen. (Gründe u.a. siehe oben.)

Mein Partner kann sich schließlich auch nicht vorstellen, wie es ist, Narkolepsie zu haben. Und er kann sich trotzdem in mich hineinversetzen. Weil wir uns gegenseitig unsere Welten erklären.

[Update vom 21.01.2015] Übrigens wurde jetzt endlich auch in einer Studie nachgewiesen, dass ich recht habe. Blindheit lässt sich einfach nicht simulieren, und diese Restaurants sind eher schädlich fürs Verständnis!

Behinderte sind auch „nur“ Menschen

Ich schließe mit einem Appell an alle, insbesondere an die Nicht-Behinderten und Nicht-Kranken:

Lasst es, die Behinderten auf einen Podest zu heben. Lasst es, davon zu reden, was wir TROTZ einer Behinderung machen. Wir machen Dinge. MIT einer Behinderung. Weil die halt immer dabei ist. Nicht mehr, nicht weniger. Hört auf, uns auf die Behinderung oder unsere Defizite zu reduzieren.

Seht uns einfach als Menschen. Menschen, die Dinge können und andere Dinge eben nicht. Wir sind keine Götter. Manches können wir besser als Ihr, anderes könnt Ihr besser als wir.

Und bitte – redet mit uns. Auf Augenhöhe. Wie mit anderen Menschen. Fragt uns aus, wenn Ihr wissen wollt, wie es ist, mit dieser oder jener Behinderung zu leben. Übrigens – die meisten von uns haben Humor und können über die eigene Behinderung/Krankheit herzlich lachen. Probiert es aus :-D

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