Ich bin nicht religiös, das sei eingangs erwähnt. Ich gehörte mal der evangelischen Kirche an, bin getauft, war in diversen christlichen Jugendgruppen aktiv und bin vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten, was nur der Erläuterung meines religiösen Hintergrunds dienlich sein, aber hier nicht näher ausgeführt werden soll.
Ich weiß also im Grundsatz durchaus über die einzelnen Religionsrichtungen besonders des Christentums Bescheid und gehe eigentlich auch davon aus, dass es den meisten anderen ebenso geht. Wenn also eine Schülerin von ihrer Lehrerin gefragt wird, ob ihr Vater eigentlich katholischer oder evangelischer Pastor sei, kann man darüber schon mal lachen, richtig? Oder, wie es betreffender Pastor in einem Tweet schrieb „Mir fällt keine Pointe ein.“
Mir ehrlich gesagt auch nicht. Ich selbst verstand den Tweet zunächst so, dass es hier um den Begriff „Pastor“ ging, weil mir mein eigenes Thema bezüglich Religion im Sinne von „mal heißt es halt Pastor und mal Pfarrer, egal welche Konfession“ näher lag: Meine Oma sagt über meinen Bruder, er sei Pastor (sie ist Norddeutsche), er ist aber tatsächlich Schweizer Pfarrer. Aber das nur am Rande. Und deshalb hab ich kurz ebendiese Sachlage recherchiert und genau das geantwortet.
Dass es eigentlich über einen Witz (oder halt Nicht-Witz, oder gar Empörung) über das „Nichtvorhandensein des Basiswissens über christliche Religionen und hier insbesondere des Zölibats“ ging, kam mir erst später in den Sinn. Es war halt auch nicht so wichtig – bis ich Antworten erhielt, die mir genau diesen Sachverhalt nochmal erklärten.
Nun kommt es zum einen auf meine Stimmung und zum anderen darauf an, wie man mir Dinge erklären will, ob ich diese Erklärung annehme, dagegenhalte, diskutiere oder völlig abblocke. Kennt jeder wohl. Dieses Mal wollte ich wenigstens eine kleine Antwort geben, denn ich fühlte mit der Lehrerin aus dem Tweet, passierte mir dieser „Fauxpas“ schließlich selbst. Also antwortete ich sinngemäß, dass ich es für nicht so tragisch hielte, wenn LehrerInnen das nicht wüssten.
Als Antwort erhielt ich ein „das gehöre zum Allgemeinwissen“ und „gerade LehrerInnen sollten sowas wissen“. Dafür wollte ich gern den Grund erfahren. Es kamen zumeist leere Worthülsen, aber jemand sagte auch, Religion sei so bildungsrelevant wie Kunstunterricht: braucht kein Mensch, aber ein Grundwissen täte der Gesellschaft gut.
Mit dieser Sicht der Dinge konnte ich gut leben und für mich war das Thema dann auch abgehakt, aber dann hat der eigentliche Tweetverfasser sich noch zu Wort gemeldet mit: Friedliches Zusammenleben erfordert m.E. ein Basiswissen über das, was andere für das Wichtigste im Leben halten. Ob der Zölibat dazugerechnet würde, sei durchaus diskutabel.
Und genau jetzt, wegen dieses was andere für das Wichtigste im Leben halten, muss ich doch mal etwas ausführlicher antworten, das passt nicht in 140 Zeichen. Es gab zunächst auch die Überlegung, dem betreffenden Pastor eine Mail zu schreiben, aber nee, ich möchte, dass auch die anderen an der Diskussion Beteiligten meine Meinung lesen können. Ergo: Blogpost, und nun sind wir schon bei der Überschrift^^
Mit diesem „was andere (also er selbst) für das Wichtigste im Leben halten“ wird meiner Meinung nach eine ziemlich arrogante Haltung präsentiert. Dieses vor allem in Bezug auf die (vielleicht unschuldige, unwissende, möglicherweise auch schlicht abgelenkte, aber auf jeden Fall am Leben ihrer Schülerin Interesse zeigende) Frage einer Lehrerin über den Beruf des Vaters zeichnet ein recht eigenartiges Bild des Tweetverfassers und aller, die sich ebenso empört oder darüber lustig gemacht haben.
Hier hält jemand also die christliche Religion, seinen Beruf, für das Wichtigste im Leben. Darf er gern, aber warum genau muss die Lehrerin (als Platzhalter für alle anderen und auch mich) darüber bescheid wissen? Was hat das mit friedlichem Zusammenleben zu tun? Krieg ich aufs Maul, wenn ich eine (blöde) Frage dazu stelle, mal so ganz provokativ gefragt? (In manchen Regionen sicher, das ist bekannt.^^) Und – weiß er denn Grundlegendes über das, was ich für das Wichtigste im Leben halte?
Betrachtet man das ganze mal nüchtern, sollte auffallen, dass nicht nur hierzulande, sondern auf der ganzen Welt ein Rückgang der Konfessionszugehörigkeit zu verzeichnen ist. Inzwischen sind es laut Bundeszentrale für politische Bildung über ⅓ der Deutschen, die keiner Konfession angehören. Mitglied in der katholischen oder evangelischen Kirche sind nur noch je rund ¼ der Bürger, und meistens wird das ja eher über die Eltern „weitergegeben“ als freiwillig entschieden. Religion wird also relativ gesehen immer unwichtiger. Insbesondere, wenn man auch die „Karteileichen“ bedenkt, also diejenigen, die aus diversen Gründen noch Kirchensteuer zahlen, aber weder in die Kirche gehen, noch an Gott glauben oder sonst irgendwie Ahnung von der Materie haben.
Auch im Alltag sieht man das sehr deutlich. Wissenschaft und Technik, Kultur und Weltpolitik rücken mehr und mehr in den Vordergrund und sind eigentlich dringendere Gebiete, auf denen man Wissen anhäufen sollte. Denn:
Inzwischen wird Religion, auch und besonders die christliche, wieder gefährlich für den Weltfrieden und auch die Erde an sich. So wird diese von „großen Politikern“ als das „einzig Wahre“ angesehen und wissenschaftlich erwiesene und lebensnotwendige, nachhaltige Themen wie Klimaveränderung etc. als irrelevant abgestempelt. „God help us, pray for xyz“ – wie konkret hilft es denn, an Gott zu glauben oder für jemanden zu beten, wenn über einem eine Flutwelle einbricht und einem das Haus unterm Arsch wegreißt? Sorry für die Polemik, Ihr wisst hoffentlich, was ich meine.
Ich weiß, ich schweife ab und es ist ein sehr großes Thema, dem ich mich hier eh nur begrenzt widmen kann und über das andere schon Doktorarbeiten geschrieben haben. Es gibt unendlich viele Argumente für und gegen Religion, objektive und subjektive, und die einen macht Religion zu besseren Menschen, die anderen macht es zu besessenen Menschen. Und ja, gerade wenn es um den eigenen Beruf geht, kann die Unwissenheit anderer wehtun.
Und wenn ich mir das alles nochmal genauer betrachte, gibt es nicht nur den Trigger „Religion“ für diesen Blogpost, sondern auch, dass über einen (vermeintlichen) Fehler einer Lehrerin gelacht wurde, und das einfach schlechter Stil ist. Und dass davon ausgegangen wird, dass das, was für einen faktisch immer geringeren Anteil der Menschen wichtig ist, bei den anderen zumindest grundlegend bekannt sein muss. Und das diese Haltung eigentlich für ganz schön viele Probleme in der Welt sorgt (was ich evtl. in einem anderen Blogpost noch irgendwann verhackstücke).
Meine Bitte zum Schluss: könnten wir wohl damit aufhören, andere lächerlich zu machen, aus welchem Grund auch immer? Und vielleicht damit anfangen, die eigenen Erwartungen und Überzeugungen nicht auf andere zu projizieren? Und die Mitmenschen als Mitmenschen zu sehen, mitsamt der zum Menschsein gehörendenden Fehlbarkeit? Bittedanke? Das wäre schön.
Danke.
Andreas Wendt
Hi!
Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Gerade bei Kontroversen oder auch Ärger finde ich es super, das Gespräch zu suchen. Auch gern öffentlich, schließlich war mein Tweet ja auch öffentlich. Insofern hättest Du auch gern meinen Namen nennen können.
Vieles von dem, was Du schreibst, geht über die Diskussion, die wir auf Twitter geführt haben, hinaus (das „Abschweifen“ konzedierst Du ja selbst). Ich muss sehen, ob ich darauf eingehe, es wird wohl auch so lang genug.
Ich habe überlegt, meine Reaktion zu zweiteilen: Hier als Kommentar in Bezug auf das, wo Du mich direkt ansprichst, etwas später eventuell als eigener Blogpost eine etwas allgemeinere Auswertung dessen, was uns da auf Twitter passiert ist.
Das anfängliche Missverständnis, es ginge um die korrekte Amtsbezeichnung: Geschenkt. Das ist so kompliziert, dass auch aktive Kirchenmitglieder da nicht durchsteigen. Sage ich im Süden, ich sei Pastor, denken sie, ich wäre in einer Freikirche. Sage ich im Norden Pfarrer, werde ich für katholisch gehalten. Und kürzlich habe ich gehört, in Teilen des Ruhrgebiets sei es auch noch andersrum, und in Pommern ist es noch komplizierter. Diese Feinheiten würde ich weder als Allgemeinwissen erwarten noch als Allgemeinbildung nötig finden.
Gemeint waren natürlich die konfessionellen Unterschiede. Was die angeht, bin ich gern und überzeugt evangelisch, freue mich aber mehr über die Gemeinsamkeiten und finde es auch überhaupt nicht tragisch, wenn Menschen, die keine „Berufschristen“ sind, vor allem diese sehen. Werden kirchlich gebundene und ganz unreligiöse Menschen nach Unterschieden gefragt, wird in der Regel als allererstes und manchmal einziges einer genannt: Bei den einen dürfen die Pfarrer heiraten (und dann auch offiziell Kinder haben), bei den anderen nicht. Das mag man jetzt gerade als Theologe nicht unbedingt für den entscheidenden Unterschied halten. Das Wissen darüber ist auch, wenn man nicht selbst den Beruf ergreifen oder den Amtsträger heiraten will, nur begrenzt nützlich. Ich war nur bis letzte Woche davon ausgegangen, es wäre allgemein bekannt. Meine Überraschung, als ich anscheinend eines anderen belehrt wurde, schlug, wie meist, in Amusement um. Das amüsante Erlebnis wurde, wie auch sonst öfter, zum Tweet. (In dem Zusammenhang waren die Infos „Tochter“ statt allgemein „Kind“ und „Lehrerin“ dann auch wieder unnötig, wohl eher ausschmückend.) Und ausgerechnet dieser durchbrach dann meine Bubble und bekam dreimal so viele Reaktionen wie mein viralster zuvor. Und damit eben auch völlig andere, die dann wieder meinen Horizont erweiterten. Da kann ich dann erstmal gar nicht umhin zu sagen: Wenn es wirklich mein Anliegen ist, dass Wissenslücken geschlossen werden, dann ist öffentliches Amüsieren darüber wohl nicht die beste Wahl. Da kam schon sehr früh der Hinweis des Bildungsdünkels, hier der von Arroganz oder schlechtem Stil. Da ist was dran.
(Einige Kommentare vermuteten, es sei gar keine Wissenslücke gewesen, sondern nur etwas zu schnell gefragt. Halte ich auch für wahrscheinlich, wissen wir aber nicht.)
Missverstanden fühle ich mich an der Stelle, wo Du meine Antwort zitierst, friedliches Zusammenleben erfordere m.E. ein Basiswissen über das, was andere für das Wichtigste im Leben halten. Du verstehst diese Antwort so, als erwarte ich ein Basiswissen über das, was mir persönlich das Wichtigste im Leben ist. Ich hielte also „die christliche Religion, seinen Beruf, für das Wichtigste im Leben“. Mein Beruf, den ich gern ausübe, ist mir sicher nicht das Wichtigste, und ich verlange auch nicht, dass andere jetzt ausgerechnet über meine Prioritäten Bescheid wissen. Um (eines) Gottes (Deiner Wahl) Willen nein!
Die von Dir zitierte Antwort bezog sich auch schon gar nicht mehr auf die Frage nach dem Zölibat, sondern auf eine allgemeinere, die Du gestellt hattest, nämlich warum „etwas Religionsbezogenes“ zur Allgemeinbildung gehören solle. https://twitter.com/AkshayasWelt/status/906895801485545473
Diese Frage verstand ich zumindest so, dass nun allgemein gefragt wird, warum „man“ etwas über Religionen wissen sollte, auch wenn man selber gar nicht religiös sei. Darauf bezog sich meine Antwort.
Man könnte da kulturell rangehen und auf Kunst und Feiertage etc. verweisen und sagen, dass es doch gut ist, die zu verstehen und dass sie eben religiös, meist christlich geprägt sind. Das mag stimmen, ist für mich aber nicht das Wichtigste.
Aber wir leben in einer pluralen Gesellschaft, in der es unterschiedliche Geisteshaltungen gibt, die sie prägen, entweder per derzeitigem Bevölkerungsanteil oder geschichtlich oder beides. Dies bedeutet, dass für unterschiedliche Menschen in der Gesellschaft unterschiedliche Dinge „das Wichtigste im Leben“ sind. Für religiöse Menschen, die es ein bisschen ernster meinen als „ich bin schon Muslim / Christ etc, aber ich praktiziere nicht“, ist ihr jeweiliger Glaube die maßgebliche Bezugsgröße, um das Leben (und mit ihm Wissenschaft und Technik, Kultur und Weltpolitik) zu interpretieren. Das kann man bedauern und sagen, die Welt wäre ohne Religion viel unkomplizierter. Es lässt sich aber nicht abschaffen. Religionen gibt es und wird es wahrscheinlich immer geben. Eine Gesellschaft, die funktionieren will, muss m.E. mit diesem Befund arbeiten, statt ihn auszublenden. (Meine persönliche These ist, dass genau aus diesem Grunde in laizistischen Staaten wie der Türkei und Frankreich die Religion in den letzten Jahren zu einer viel gefährlicheren Größe geworden ist als bei uns, wo sie eben „zu Deutschland gehört“).
Wollen wir also in einer pluralen Gesellschaft zu einem gemeinsamen friedlichen Umgang mit Wissenschaft und Technik, Kultur und Weltpolitik kommen, können wir die unterschiedlichen Wichtigkeiten und Bezugsgrößen unterschiedlicher Menschen nicht ignorieren. Als evangelischer Christ, der gesellschaftlich diskursfähig bleiben will, muss ich mich also in Grundzügen auskennen z.B. mit katholischem Glauben, mit dem Islam inklusive der wichtigsten Unterschiede von Sunna und Schia, dem Buddhismus und den Zeugen Jehovas, der Fußballbundesliga, der Evolutionstheorie und dem Sozialismus, der Religionkritik und dem Heimatkonzept vermeintlich besorgter Bürger. Ich muss nichts davon teilen, aber wenn ich es ignoriere, ziehe ich mich im gesellschaftlichen Diskurs in eine Filterbubble zurück und nehme in Kauf, dass entweder das friedliche Zusammenleben in unserem Land nicht mehr funktioniert oder ich selbst mich davon ausschließe.
Aus diesem Grunde meine ich, solange es Religionen gibt (und das wird wohl unser beider Lebzeiten überdauern), gehören auch religionsbezogene Inhalte zur Allgemeinbildung. Nicht alle, aber „etwas Religionsbezogenes“, ein Basiswissen, muss dabei sein. Erwartungen, was andere über mich und meinen Beruf wissen sollten, waren an der Stelle gar nicht formuliert. Möglicherweise hatte ich damit Deine Frage missverstanden, aber ich hoffe, das ließ sich hier klären.
Und ja, mich darüber lustig zu machen, wenn Wissen fehlt, ist wahrscheinlich wenig einladend, es sich anzueignen. Erreicht im Zweifelsfall wohl das Gegenteil. Das wusste ich eigentlich, habe es aber jetzt wieder erfahren. Vielen Dank also für die Ermahnung und für das Gesprächsangebot.